Samstag, 29. November 2008

Ministerium für Staatssicherheit

MINISTERRAT Berlin, Januar 1976
DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Ministerium für Staatssicherheit
Der Minister
Geheime Verschlusssache
MfS 008 Nr. 100 76
Nr. (unleserlich, wohl „007“) Ausf. 30 Blatt
Richtlinie Nr. 1 / 76
Zur Entwicklung und Bearbeitung
Operativer Vorgänge (OV)
2.6. Die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung
2.6.1. Zielstellung und Anwendungsbereiche von Maßnahmen der Zersetzung
Maßnahmen der Zersetzung sind auf das Hervorrufen sowie die Ausnutzung und
Verstärkung solcher Widersprüche bzw. Differenzen
zwischen feindlich-negativen Kräften zu richten, durch die sie ersplittert, gelähmt,
desorganisiert und isoliert und ihre feindlich-negativen Handlungen einschließlich
deren Auswirkungen vorbeugend verhindert, wesentlich eingeschränkt oder gänzlich
unterbunden werden.
In Abhängigkeit von der konkreten Lage unter feindlich-negativen Kräften ist auf die
Einstellung bestimmter Personen, bei denen Anknüpfungspunkte vorhanden sind,
dahingehend einzuwirken, dass sie ihre feindlich- negative Positionen aufgeben und
eine weitere
positive Beeinflussung möglich ist.
Zersetzungsmaßnahmen können sich sowohl gegen Gruppen, Gruppierungen und
Organisationen als auch gegen einzelne Personen
richten und als relativ selbständige Art des Abschlusses Operativer Vorgänge oder im
Zusammenhang mit anderen Abschlussarten
angewandt werden.
Die Leiter der operativen Diensteinheiten haben zu gewährleisten, dass bei politischoperativer
Notwendigkeit
Zersetzungsmaßnahmen als unmittelbarer Bestandteil der offensiven Bearbeitung
Operativer Vorgänge angewandt werden.
2.6.2. Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung
Die Festlegung der durchzuführenden Zersetzungsmaßnahmen hat auf der Grundlage
der exakten Einschätzung der erreichten
Ergebnisse der Bearbeitung des jeweiligen Operativen Vorgangs, insbesondere der
erarbeiteten Ansatzpunkte sowie der
Individualität der bearbeiteten Person und in Abhängigkeit von der jeweils zu
erreichenden Zielstellung zu erfolgen.
Bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung sind:
- systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf
der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie
unwahrer, glaubhafter nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben;
- systematischer Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur
Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen;
- zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten
Idealen, Vorbildern usw. und die Erzeugung von
Zweifeln an der persönlichen Perspektive;
- Erzeugen von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von
Gruppen, Gruppierungen und Organisationen;
- Erzeugen bzw. Ausnutzen und Verstärken von Rivalitäten innerhalb von Gruppen,
Gruppierungen und Organisationen durch zielgerichtete Ausnutzung persönlicher
Schwächen einzelner Mitglieder;
- Beschäftigung von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen mit ihren
internen Problemen mit dem Ziel der Einschränkung feindlich-negativer
Handlungen;
- Örtliches und zeitliches Unterbinden bzw. Einschränken der gegenseitigen
Beziehungen der Mitglieder einer Gruppe, Gruppierung
oder Organisation auf der Grundlage geltender gesetzlicher Bestimmungen, z.B. durch
Arbeitsplatzbindungen, Zuweisung örtlich
entfernt liegender Arbeitsplätze usw.
Bei der Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen sind vorrangig zuverlässige, bewährte, für
die Lösung dieser Aufgabe geeignete IM einzusetzen.
Bewährte Mittel und Methoden der Zersetzung sind:
- das Heranführen bzw. der Einsatz von IM, legendiert als Kuriere der Zentrale,
Vertrauenspersonen des Leiters der Gruppe,
übergeordnete Personen, Beauftragte von zuständigen Stellen aus dem
Operationsgebiet, andere Verbindungspersonen usw.;
- die Verwendung anonymer und pseudonymer Briefe, Telegramme, Telefonanrufe
usw.; kompromittierender Fotos, z.B. von
stattgefundenen oder vorgetäuschten Begegnungen;
- die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen einer Gruppe,
Gruppierung oder Organisation;
- gezielte Indiskretionen bzw. das Vortäuschen einer Dekonspiration von
Abwehrmaßnahmen des MfS;
- die Vorladung von Personen zu staatlichen Dienststellen oder gesellschaftlichen
Organisationen mit glaubhafter oder unglaubhafter Begründung.
Diese Mittel und Methoden sind entsprechend den konkreten Bedingungen des jeweiligen
Operativen Vorgangs schöpferisch und differenziert anzuwenden, auszubauen und
weiterzuentwickeln.
2.6.3. Das Vorgehen bei der Ausarbeitung und Durchführung von
Zersetzungsmaßnahmen
Voraussetzung und Grundlage für die Ausarbeitung wirksamer
Zersetzungsmaßnahmen ist die gründliche Analyse des Operativen Vorgangs,
insbesondere zur Herausarbeitung geeigneter Widersprüche, Differenzen bzw. von
kompromittierendem Material.
Auf der Grundlage de Ergebnisse der Analyse hat die exakte Festlegung der konkreten
Zielstellung der Zersetzung zu erfolgen.
Entsprechend der festgelegten Zielstellung hat die gründliche Vorbereitung und
Planung der Zersetzungsmaßnahmen zu erfolgen.
In der Vorbereitung sind – soweit notwendig – unter Wahrung der Konspiration die
zur Bearbeitung des jeweiligen Operativen Vorgangs eingesetzten bzw.
einzusetzenden IM einzubeziehen.
Die Pläne zur Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen bedürfen der Bestätigung
durch den Leiter der jeweiligen Haupt-/selbständigen
Abteilung bzw. Bezirksverwaltung/Verwaltung.
Pläne zur Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen gegen
Organisationen, Gruppen, Gruppierungen oder einzelne Personen im
Operationsgebiet,
Personen in bedeutsamen zentralen gesellschaftlichen Positionen
bzw. mit internationalem oder Masseneinfluß,
sowie in anderen politisch-operativ besonders bedeutsamen Fällen sind mir bzw.
meinem jeweils zuständigen Stellvertreter zur Bestätigung vorzulegen.
Die Durchführung der Zersetzungsmaßnahmen ist einheitlich und straff zu leiten.
Dazu gehört die ständige inoffizielle Kontrolle ihrer Ergebnisse und Wirkung. Die
Ergebnisse sind exakt zu dokumentieren.
Entsprechend der politisch-operativen Notwendigkeit sind weitere politisch-operative
Kontrollmaßnahmen festzulegen und durchzuführen.
Auszug aus:
Richtlinie Nr. 1/76
des Ministerium für Staatssicherheit der DDR (GDR)
Geheime Verschlußsache MfS 008 Nr.100 76